Sparte Industrie

EU-Lieferkettengesetz: Hürden vor der Zielgeraden

Informationen der Bundessparte Industrie

Lesedauer: 3 Minuten

11.03.2023

Forderungen aus dem EU-Parlament stehen Einschränkungen seitens des Ministerrats gegenüber. Eine Reihe nationaler Wahlen 2023 erschweren die Verhandlungen.

Am 23. Februar 2022 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag zur sogenannten Corporate Sustainability Due Diligence veröffentlicht.

Das Ziel ist die Verbesserung des EU-Rechtsrahmens für Nachhaltigkeit im Bereich Corporate Governance. Die im Ausland beschafften Vorleistungsgüter bzw. Fertigerzeugnisse sollen in allen Phasen ihrer Wertschöpfungskette auf etwaige umweltschädigende Produktionsverfahren sowie angemessene Arbeitsbedingungen geprüft werden. Der Vorschlag zielt auf Kapitalgesellschaften (EU-Unternehmen und in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten) ab 500 Mitarbeitern und 150 Millionen Euro Jahresumsatz bzw. in bestimmten „Risikosektoren“ ab 250 Mitarbeitern und 40 Millionen Euro Jahresumsatz ab. Die Sorgfaltspflicht gilt ebenso für Tochterunternehmen und die gesamte Wertschöpfungskette – direkte und indirekte Geschäftsbeziehungen. Mögliche Verstöße gegen Umweltschutz und Menschenrechte sollen ermittelt und wirksame Strategien dagegen erarbeitet werden. Das Management soll dazu verpflichtet werden, diese Interessen in der Unternehmensstrategie zu berücksichtigen und durchzusetzen, inklusive Anreize in Form von variabler Vergütung. Neben Verwaltungsstrafen durch nationale Behörden sieht der Vorschlag auch zivilrechtliche Klagen von geschädigten Individuen oder Organisationen vor.

Zur Position der BSI berichteten wir ausführlich in der März-Ausgabe dieses Newsletters.

Im Europäischen Parlament ist der JURI-Ausschuss zuständig. Dieser hatte bereits im vergangenen Jahr in einer Resolution ein europäisches Lieferkettengesetz gefordert, die viele Elemente des Vorschlages vorweggenommen hat. Dennoch scheint dieser der sozialdemokratischen Berichterstatterin Sara Wolters nicht weit genug zu gehen. Mitte November veröffentlichte sie ihren Entwurf, der mit einigen deutlichen Verschärfungen aufwartet. So soll der Anwendungsbereich sowohl bezüglich Anzahl der Unternehmen – im Wesentlichen abhängig von Mitarbeiterzahl und Umsatz – als auch betreffend Regelungsgegenstand ausgeweitet werden; so ist eine Ausweitung auf Verstöße gegen „good governance“, wenn Aktionen eines Unternehmens beispielsweise den Rechtsstaat untergraben könnten, geplant. Darüber hinaus sollen weitere Sektoren einbezogen werden und der Zusatz „bestehende Geschäftsbeziehung“ fallen. In diesem Fall wären also auch zeitlich, örtlich bzw. budgetär sehr begrenzte oder ad-hoc Geschäftsbeziehungen hinsichtlich möglicher unrechtmäßiger oder schädigender Praktiken zu überwachen. Die Berichterstatterin fordert überdies eine noch stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit, indem strenge Vorgaben für die Konsultation von potenziell Betroffenen gemacht werden. Bis zur Abstimmung im Ausschuss im März 2023 haben die Abgeordneten Zeit, Änderungsanträge einzubringen und darüber zu verhandeln. Die endgültige Abstimmung im Parlamentsplenum ist für Mai 2023 geplant.

Im Ministerrat wurde hingegen am 1. Dezember die sogenannte allgemeine Ausrichtung beschlossen. Nach einigem Hin und Her um den Begriff der Wertschöpfungskette bzw. Lieferkette und was davon umfasst ist, haben sich die ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten auf einen Kompromiss geeinigt. So spricht der Rat nun von „Aktivitätskette“, die vor- und nachgelagerte wirtschaftliche Tätigkeiten beinhaltet, jedoch die Endkonsumphase ausschließt. Um Klarheit zu schaffen, wurde eine Liste jener Tätigkeiten der Geschäftspartner erarbeitet, die umfasst werden soll. Ebenso soll die zivilrechtliche Haftung von Unternehmen nur unter klar definierten Voraussetzungen gelten. Allerdings hält der Rat diese Präzisierungen im Bereich der zivilrechtlichen Haftung für ausreichend, um eine ursprünglich geplante Schutzklausel für Ausnahmen für Unternehmen, die eine vertragliche Zusicherung von Geschäftspartnern eingeholt haben, zu streichen.

Die weitere Bürokratiewelle, die damit auf Unternehmen aller Größen zukommt, ohne jedoch die Herausforderungen der Nachhaltigkeit zu lösen, sieht die Bundessparte Industrie weiterhin sehr kritisch. Das Problem der Nichtdurchsetzung bestehender Regelungen wird dadurch ebenso wenig angegangen, wie die zunehmende Verquickung von Rechtsmaterien und die damit einhergehende Rechtsunsicherheit für Unternehmen. Mangelhafte Definitionen und ungenügend konkretisierte Rechtspflichten tun ihr Übriges. Europa bewegt sich damit einen weiteren Schritt vom erklärten Ziel der Kommission bzw. des Green Deals weg, ein umfassendes Wachstums- und Wettbewerbsprogramm zu sein.

Das Europabüro der WKÖ hat unter aktiver Beteiligung der BSI dahingehende Änderungsvorschläge bei EU-Dachverbänden und direkt bei Europaabgeordneten eingebracht. Der Prozess im Parlament ist noch nicht abgeschlossen und die Gespräche um eine ausgewogene Position werden bis ins Frühjahr 2023 andauern. Ab Sommer 2023 werden dann die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen Rat und Parlament starten, deren Geschwindigkeit und Ausgang jedoch angesichts der andauernden, multiplen Krisen sowie anstehender Wahlen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten – darunter das Vorsitzland der zweiten Jahreshälfte, Spanien – ungewiss erscheint.

Autoren:
Clemens Rosenmayr, MSc, MSc, BSc
Mag. Hagen Pleile

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