Hörakustiker: Fragen aus den Vorträgen und Workshops
FAQ Medizinprodukte
Lesedauer: 13 Minuten
[FAQ Hörakustiker]
Ja, die MDR gilt für alle Wirtschaftsakteure (Hersteller, Händler, Hersteller von Sonderanfertigungen etc). Es ist sehr wichtig sich mit den verschiedenen Rollen auseinanderzusetzen, da sich die jeweiligen Rechte und Pflichten voneinander unterschieden. Ein Hersteller von Sonderanfertigungen ist ebenso ein Hersteller im Sinne der MDR. Allerdings bestehen bei mehreren Hersteller-Pflichten ausdrückliche Ausnahmen für Hersteller von Sonderanfertigungen.
Achtung:
Egal ob Sie als EPU oder in einer größeren Struktur organisiert sind, die MDR ist für jeden Hörakustikerbetrieb relevant!
Ja, und zwar dann, wenn Produkte von einem Hörakustiker unter eigenen Namen (Handelsnamen oder Marke) in Verkehr gebracht werden. Der Hörakustiker gilt diesfalls nur dann nicht selbst als Hersteller, wenn er eine entsprechende Vereinbarung mit dem Hersteller getroffen hat und der Hersteller als solcher ebenfalls genannt wird. Weiters kann es zu einer Ausweitung der Herstellerpflichten kommen, wenn der Hörakustiker den Rahmen der Anpassung überschreitet und die Zweckbestimmung des Produkts ändert bzw. das Produkt auf eine Art ändert, die Auswirkungen auf die Konformität des Produkts haben können (die vorhandene Konformitätserklärung ist nicht mehr ausreichend).
Im Idealfall erhalten Hörakustiker Otoplastiken von Herstellern oder Laboren mit CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt. Das Anformen einer vorgefertigten Otoplastik, für die der Hersteller die Konformität als Medizinprodukt erklärt hat, an einen konkreten Kunden ist als Anpassung des Medizinprodukts zu sehen. Solange Sie sich innerhalb der Angaben des Herstellers bewegen und Sie die Zweckbestimmung des Medizinprodukts nicht ändern, treffen Sie nur die Pflichten eines Händlers.
Wenn Sie jedoch von den Herstellerangaben abweichen (und damit die Zweckbestimmung ändern) treffen Sie Pflichten eines Herstellers. Die ursprüngliche Konformitätserklärung ist nicht mehr ausreichend.
Der Hörakustiker ist Hersteller einer Sonderanfertigung bei jeglicher individuellen Fertigung zB einer Otoplastik. Der Hörakustiker ist Anpasser, wenn er beispielsweise eine Otoplastik eines industriell hergestellten Hörgeräts, für die jeweils der Hersteller die Konformität als Medizinprodukt erklärt haben, an einen Kunden anpasst. Ab dem Zeitpunkt, an welchem die Anpassung nicht mehr im Rahmen der Herstellervorgaben erfolgt, ist man Hersteller einer Sonderanfertigung mit den damit verbundenen umfassenderen Pflichten.
Achtung:
Es ist ratsam, die Herstellerangaben einzuhalten, da Sie sonst deutlich umfassendere Pflichten treffen können. Darüber hinaus laufen Sie Gefahr gegen vertragliche Vereinbarungen mit dem Hersteller zu verstoßen.
Nur anhand des CE-Kennzeichens allein kann man nicht erkennen, ob es sich bei einem Produkt um ein Medizinprodukt handelt oder nicht. Daher ist auf der Konformitätserklärung zu prüfen, ob das Produkt laut der Medizinprodukte (VO (EU) 217/745) oder einer anderen EU-Verordnung konform ist. Zusätzlich ist ein Medizinprodukt (sofern Platz am Produkt) mit der Aufschrift „Medizinprodukt“ gekennzeichnet. Weiters findet man in der Regel das Label „MD“ für Medical Device am Produkt angeführt:
Sofern die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I der MDR eingehalten wurden, ist ein Produkt „konform“. Medizinprodukte müssen so gestaltet sein, dass sie sich unter normalen Verwendungsbedingungen für ihre Zweckbestimmung eignen, sie sicher und wirksam sind sowie weder den klinischen Zustand und die Sicherheit und/oder die Gesundheit der Kunden/Anwender/Dritter gefährden.
Sie dürfen Medizinprodukte, die eine CE-Kennzeichnung tragen, miteinander verbinden, sofern dies die Zweckbestimmung vorsieht. Sie treffen weiterhin nur die Pflichten eines Händlers. Das System selbst muss nicht mit einem CE-Kennzeichen versehen werden, aber es muss eine Erklärung abgegeben werden und der Name und die Anschrift der Person angeführt werden, die das Produkt zusammengesetzt hat sowie eine Gebrauchsanweisung beigelegt werden. Zusätzlich hat die Erklärung nach Art 22 MDR folgendes zu enthalten:
- Bestätigung der gegenseitigen Vereinbarkeit der Teilprodukte;
- Erklärung, dass die Hinweise und Angaben des Herstellers geprüft und eingehalten wurden;
- Bestätigung, dass das System verpackt abgegeben wurde und die einschlägigen Informationen (Benutzerhinweise) beiliegen;
- Bestätigung, dass die Zusammenstellung fachgerecht unter geeigneten Überwachungs- und Validierungssystemen vorgenommen wurde.
Die Erklärung muss 10 Jahre lang aufbewahrt werden.
Laut Art 2 Z 11 MDR ist eine Kombination von verschiedenen (Medizin-)Produkten zur Erfüllung eines medizinischen Zwecks ein „System“. Wenn ein Teil des Systems ein Produkt ohne CE-Kennzeichen ist, wird das System gemäß Art 22 Abs 4 MDR als eigenständiges Produkt behandelt. Damit verbunden ist die Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens gemäß Art 52 MDR und grundsätzlich die Erfüllung der Herstellerpflichten. Derjenige, der das System zusammengestellt hat und an den Kunden abgibt gilt als Hersteller für das gesamte System.
Dieses Ergebnis ist stark in Frage zu stellen. Es ist dem Hörakustiker kaum zumutbar für das gesamte System die Konformität zu erklären und damit auch für das gesamte System die Haftung zu übernehmen. Darüber hinaus ist aufgrund des Wortlauts des Art 22 MDR auch nicht völlig klar, ob das System als Sonderanfertigung anzusehen ist und damit eine eigene Konformitätserklärung nach Anhang XIII erfolgen kann, oder ein Konformitätsbewertungsverfahren zur Gänze zu durchlaufen ist, wie es für einen (industriellen) Hersteller der Fall wäre. Ein praxisorientierter Lösungsansatz wäre z.B. wenn der Hörakustiker die Konformität für die Otoplastik als Sonderanfertigung erklärt, die er den Konformitätserklärungen der anderen CE-Produkte beigibt. Zusätzlich erklärt der Hörakustiker die Vereinbarkeit der zusammengesetzten Produkte durch eine Erklärung im Sinne Art 22 MDR (siehe Antwort zu Frage 18), wobei es hier wiederum wünschenswert wäre, dass auch der Hersteller entsprechende Hinweise für die Kombinierbarkeit vorgibt. Der Kunde wäre umfassend abgesichert, weil sowohl über alle Bestandteile eine Konformitätserklärung vorliegt als auch eine Erklärung über die Vereinbarkeit der Teilprodukte. Ein weiterer Ansatz wäre, die Anformung und Anbringung der Otoplastik als „Anpassung“ des Hörgeräts einzustufen. Leider sind beide Auslegungsansätze aber nicht rechtssicher aus dem Wortlaut des Art 22 Abs 4 MDR ableitbar. Es herrscht starke Rechtsunsicherheit in diesem Bereich, die auch nach mehreren Anfragen bei der Behörde nicht ausgeräumt werden konnte. Über Neuerungen werden Sie an dieser Stelle aktuell informiert.
Der Gesetzgeber sieht vor, dass Hersteller jedes Produkt in einer Weise, die der Risikoklasse und der Art des Produkts angemessen ist, ein System zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen planen, einrichten, dokumentieren, anwenden, instandhalten und auf den neuesten Stand bringen.
Durch die Konformitätserklärung muss ein Hersteller einer Sonderanfertigung dokumentieren wer die Sonderanfertigung erhalten hat. Dieses Dokument muss 10 Jahre lang aufbewahrt werden. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) kann darüber hinaus von Herstellern von Sonderanfertigungen verlangen, dass sie eine Liste über alle Sonderanfertigungen aushändigen.
Beim Verkauf des Produkts ist darauf hinzuweisen, dass es sich um ein Medizinprodukt handelt und, dass die Gebrauchsanweisung zu lesen ist. Eine Dokumentation, wer das Mittel gekauft hat, ist nicht notwendig. Artikel 25 MDR sieht für Wirtschaftsakteure eine Identifizierung innerhalb der Lieferkette vor. Händler und Importeure arbeiten mit den Herstellern zusammen, um ein angemessenes Niveau der Rückverfolgbarkeit von Produkten zu erreichen. Wirtschaftsakteure müssen der zuständigen Behörde gegenüber folgendes angeben können:
- alle Wirtschaftsakteure, an die sie ein Produkt direkt abgegeben haben
- alle Wirtschaftsakteure, von denen sie ein Produkt direkt bezogen haben
- alle Gesundheitseinrichtungen oder Angehörigen der Gesundheitsberufe, an die sie ein Produkt direkt abgegeben haben
Falls dem Hersteller bzw. Hersteller einer Sonderanfertigung konkrete Sicherheitsbedenken auffallen, muss er aktiv werden und Maßnahmen setzen, um Schäden und Gefährdungen zu reduzieren. Melden Sie die Vorkommnisse beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) digital mit Hilfe der vorgefertigten Formulare ein.
Sollten sie sich nicht sicher sein, ist ein Rückfragehinweis an medizinprodukte@basg.gv.at (Bitte Hyperlink) eine sinnvolle Idee.
Laut MDR muss die Rückverfolgbarkeit der Klasse nach angemessen sein. Das heißt, dass produktspezifisch Unterschiede auftreten können. Artikel 85 der MDR sieht vor, dass Hersteller von Klasse I Produkten einen Bericht über die Überwachung nach dem Inverkehrbringen erstellen müssen. Die Hersteller von Produkten der Klassen IIa, IIb und III erstellen für jedes Produkt und gegebenenfalls für jede Produktkategorie oder Produktgruppe einen regelmäßig aktualisierten Bericht über die Sicherheit („Sicherheitsbericht“), der umfassender als jener Bericht für die Klasse I Produkte ausgestaltet ist. Für genauere Informationen zum Inhalt dieses Berichts siehe Art 85 und 86 MDR.
Wichtig ist zu betonen, dass die Pflicht zur Führung eines Systems zur eindeutigen Produktidentifikation (UDI) nur für Hersteller gilt. Hersteller von Sonderanfertigungen sind hier ausgenommen. Grundsätzlich sind Wirtschaftsakteure nur bei implantierbaren Produkten der Klasse III verpflichtet, die UDI der Produkte zu erfassen und speichern (vorzugsweise elektronisch), die sie abgegeben haben. Die MDR sieht jedoch eine Möglichkeit von strengeren Regeln vor. Im österreichischen MPG 2021 wurde dazu in §§ 38, 39 eine Verordnungsermächtigung des Gesundheitsministers für konkretere Regelungen festgeschrieben. Zum Zeitpunkt der Erstellung lagen keine Verordnungen vor.
Ja. Hersteller von Sonderanfertigungen und Händler haben sich vor Aufnahme ihrer Tätigkeit zu registrieren. Für Hersteller von Sonderanfertigungen gilt diese Registrierungspflicht nicht, wenn sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des MPG 2021 im Register der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) bereits erfasst sind. Ebenso sind Händler ausgenommen, wenn sie Medizinprodukte, die in § 1 Z 1 bis 6 Freie Medizinprodukteverordnung angeführt sind, vertreiben. Eine Meldung enthält Name, Anschrift und Art der Tätigkeit und bei Herstellern von Sonderanfertigungen zusätzlich die Art der hergestellten Medizinprodukte und die Angaben hinsichtlich der für die Einhaltung der Vorschriften verantwortlichen Person. Leitfäden finden Sie hier: https://medizinprodukteregister.at/Handbuch_Leitfaeden
Unabhängig davon, ob ein Hörgerät unentgeltlich getestet wird oder entgeltlich erworben wird, darf es zu keinem Informationsverlust kommen. Sofern alle Informationen in der Gebrauchsanweisung zu finden sind, ist die Mitgabe der Verpackung nicht zwingend erforderlich. Die Seriennummer ist in der Regel auf der Verpackung und auf dem Gerät selbst vermerkt, wobei letztere für den Kunden nicht lesbar ist. Eine Möglichkeit wäre hier die Angabe der Information (Seriennummer & LOT Nummer) in den Unterlagen bzw. auf der Konformitätserklärung, welche dem Kunden mitgegeben wird. Dadurch kommt es zu keinem Informationsverlust, da eine Auslesbarkeit der Seriennummer durch den Hörakustiker möglich ist und nachvollzogen werden kann, welcher Kunde welches Gerät erhalten hat.
Die MDR sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Regelungen über die Aufbereitung von „Einmalprodukten“ zu treffen haben. Unter „Einmalprodukt“ wird gemäß Art 2 Z 8 MDR ein Produkt verstanden, das dazu bestimmt ist, an einer einzigen Person, für eine einzige Maßnahme, verwendet zu werden. Eine Abgrenzung zu „wiederverwendbaren“ Produkten trifft die MDR nicht. Es ist daher nicht völlig klar, was unter einem „Einmalprodukt“ zu verstehen ist.
In Österreich ist die Aufbereitung von Einmalprodukten – im Gegensatz zu Deutschland – untersagt worden.
Sofern davon ausgegangen wird, dass es sich bei dem Hörgerät laut ursprünglicher Zweckbestimmung um ein wiederverwendbares Medizinprodukt handelt, sieht weder die MDR noch das MPG 2021 ein ausdrückliches Verbot der Aufbereitung des Medizinprodukts vor. Das österreichische MPG 2021 hätte in den §§ 62, 63 die Möglichkeit vorgesehen, dass über eine Verordnung Anforderungen für Sterilisation und Desinfektion vorgegeben werden. Eine solche Verordnung wurde (noch) nicht erlassen. Nachdem keine konkreten Vorgaben bestehen, ist es daher für den Fall, dass Sie eine Aufbereitung in Erwägung ziehen umso wichtiger, dass sie Angaben des Herstellers dazu einzufordern. Dies sowohl zur Zweckbestimmung des Medizinprodukts (besteht eine Zweckbestimmung als Einmalprodukt oder nicht?), als auch zur konkreten Wiederaufbereitung (geeigneten Verfahren zur Reinigung, Desinfektion, Sterilisation etc). Achtung, es droht andernfalls uU eine Einordnung als Hersteller nach der Wiederaufbereitung.
Diese Unterlagen wurden von RA Mag. Katharina Raabe-Stuppnig und FH-Prof. Dr. Matthias Scherer, MSc, im Auftrag der Bundesinnung der Gesundheitsberufe erstellt.
Trotz umfassender Einbeziehung der bereichsspezifischen Parameter können diese Unterlagen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen. Es handelt sich um Vorschläge und Beispiele, die in der Praxis korrekt ausgefüllt und in Aufbau und textlicher Vorgabe nicht verändert werden dürfen. Viele Rechtsfragen können mangels Stellungnahme der Behörde und/oder Rechtsprechung noch nicht abschließend (rechtssicher) beantwortet werden. Die Bundesinnung und die oben genannten Ersteller übernehmen keine Haftung, insb. auch nicht für spezifische Abweichungen, textliche Veränderungen und/oder falsche/unvollständige Anwendungen. Die Ausführungen sind auf den Regelfall zugeschnitten, eine Abbildung aller Ausnahmen ist nicht gegeben.