Handelsforum 2024
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Sparte Handel

Auf die richtige Mischung kommt's an

Im Congresspark Igls loteten Handelsunternehmer:innen und Führungskräfte aus, wie die Zukunft des Handels sein wird: analog, digital oder hybrid.

Lesedauer: 3 Minuten

26.06.2024



Beim Tiroler Handelsforum 2024 im Congresspark Igls drehte sich heuer alles um die Zukunft des Handels. Hochkarätige Referent:innen und innovative Unternehmer:innen gingen der Frage auf den Grund, ob der Store of the future analog, digital oder hybrid sein wird. „Der Handel ist eine der Branchen mit der schnellsten Entwicklung. Das Motto Handel im Wandel gilt schon seit Jahren – und das wird sich so fortsetzen. Ich bin überzeugt, dass es in zehn Jahren kein Entweder-Oder geben wird, sondern die größten Chancen in einer Mischung aus Online- und stationärem Geschäft liegen werden“, erklärte WK-Präsidentin Barbara Thaler.

WK-Vizepräsident Martin Wetscher unterstrich die Bedeutung einer florierenden Handelslandschaft für lebendige Innenstädte. „Einzelhändler erfüllen im Zusammenspiel mit der Gastronomie für Innenstädte eine ähnlich wichtige Funktion wie Bergbauern für unsere Kulturlandschaft. Unter schwierigen Bedingungen wird es Unterstützung seitens der Politik brauchen, damit sie uns erhalten bleiben“, ist Wetscher überzeugt. Günther Botschen vom Retail Lab der Universität Innsbruck betonte den Stellenwert der Kundenbindung. „Dabei muss die Marke selbst der stärkste Bindungsstoff sein“, so Botschen.

Stationärer Handel schafft Erlebnisse

Der stationäre Handel steht seit langem vor der Herausforderung, mit den Vorteilen des Online-Shoppings zu konkurrieren, und scheint dabei immer mehr ins Hintertreffen zu geraten. Mathias Streicher, Handelsexperte und Assistenzprofessor an der Uni Innsbruck, sieht dies jedoch nicht als eine Frage der Online-Konkurrenz. Für ihn bildet ein starkes und intelligentes stationäres Angebot das eigentliche Fundament für den digitalen Auftritt. „Es wird zu oft nur über die reine Transaktion, also den Verkauf an sich, gesprochen. Dabei bietet der stationäre Handel viel mehr“, betont Streicher. Es geht um Unterhaltung und persönlichen Service, die online nicht geboten werden können. Stationäre Shops schaffen einzigartige und authentische Erlebnisse, die digital nicht oder nur schwer umzusetzen sind, wie das Eintauchen in Markenwelten oder echte soziale Interaktionen. Streicher nennt dies „Erdung“ und ist überzeugt: „Auch wenn er schon seit 20 Jahren totgesagt wird, der stationäre Handel hat Zukunft. Unternehmer müssen sich nur auf die natürlichen Stärken besinnen.“ Auf dieser Basis können dann auch digitale Möglichkeiten erfolgreich eingesetzt werden. „Studien haben gezeigt, dass Handelsunternehmen, die so agieren, generell auf beiden Kanälen eine höhere Rentabilität erreichen“, erklärt Streicher.

Erfolgsfaktoren für analoge Konzepte

Heike Brandt, Expertin für Wirtschaftsräume und Leiterin von StudioBrandt in Berlin, sprach über die Rolle analoger Shops in der digitalen Zukunft. Sie identifizierte 4 Erfolgsfaktoren für stationäre Geschäfte: Story, Service, Soziales und Sensorik. Brandt schätzt die digitalen Möglichkeiten, bevorzugt aber die sinnlichen Erlebnisse des analogen Handels. „Trotz VR-Technologie kann die menschliche Psyche das Echte vom Künstlichen unterscheiden. Das Wiederaufleben des Bücherlesens und die Beliebtheit kleiner Artisan-Shops zeigen, wie sehr Menschen eine Pause von digitalen Medien schätzen“, so Brandt.

Die größte Herausforderung für traditionelle Geschäfte im digitalen Zeitalter ist es, mit der Effizienz und Bequemlichkeit des OnlineShoppings zu konkurrieren. Gleichzeitig müssen sie ein Service-Level aufrechterhalten, das den neuen Erlebnisansprüchen gerecht wird. Brandt betont: „Analoge Geschäfte müssen nicht nur ihre Außenwirkung pflegen, sondern auch digitale Tools integrieren, um Kunden zufriedenzustellen.“ Die Expertin für Markeninszenierung sieht die Zukunft des Handels in der nahtlosen Integration von Online- und Offline-Kanälen.

Coole On- und OfflineBegegnungen

Am Podium diskutierten Moderatorin Anita Heubacher und Oliver Koll mit Unternehmerinnen und Unternehmern über die „coolsten Off- und Online-Begegnungen“. Für Claudio Blassnig von der Firma Gloryfy aus Schlitters zählt definitiv „Retail first“. „Wir machen unseren Umsatz großteils über Optiker:innen. Hier braucht es die Expertise und den direkten Kontakt mit Kundinnen und Kunden. Wir loten auch innovative Online– Möglichkeiten aus, sehen diese aber nur als zusätzliche Option“, so Blassnig. Björn Schultheiß von Fitomat, Berlin, geht den umgekehrten Weg. Das Unternehmen hat sich auf die Errichtung von Fitnesscentern in kleinen Ortschaften fokussiert. Das rechnet sich nur, wenn die Personalkosten drastisch reduziert werden. Daher ist das ganze Geschäftsmodell von Fitomat auf radikaler Digitalisierung aufgebaut.

Trotzdem will die Firma nun auch stationäre Geschäfte eröffnen, die jedoch nicht dem Verkauf dienen, sondern mit Events und Erlebnissen auf die Stärkung der Marke und die Kundenbindung abzielen. Einen ähnlichen Weg will Andreas Gell, Head of Retail von Asphaltgold aus Darmstadt, gehen und der weitgehend digitalen Community analoge Kontaktpunkte bieten. Für Thomas Walser von „Der Grissemann“ aus Zams funktioniert Lebensmittelhandel wiederum praktisch ausschließlich analog. Nach einigen digitalen Projekten will Walser nun wieder das Stationäre verstärken. „Mein Controller hat mich von Online–Experimenten geheilt“, bringt es Walser für seine Firma auf den Punkt. Die Podiumsdiskussion machte deutlich, dass es kein einheitliches Rezept gibt und jede Handelssparte ihre eigene Erfolgsmischung aus analog und digital finden muss.

Neben den Vorträgen bot der Event auch heuer genü- gend Möglichkeiten zum Netzwerken und zum Erfahrungsaustausch unter Kolleg:innen. Auch das ist Teil dieses Formats: Es muss nicht jeder das Rad neu erfinden. Gegenseitiges Lernen schafft Wissensvorsprung und ermöglicht es, von erfolgreichen Beispielen neue Impulse für die eigene Firma abzuleiten.

Impressionen vom Tiroler Handelsforum 2024 finden Sie hier.