Nachhaltigkeit
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Schlüsselaufgabe fürs Management

„Corporate Sustainability Management ist das neue Qualitätsmanagement“, sagt Christian Berg, Hauptreferent beim oö. Nachhaltigkeitstag am 5. Juni, im Gespräch mit der OÖWirtschaft. Berg setzt sich auf vielen Ebenen für mehr Nachhaltigkeit ein, u.a. als Honorarprofessor der TU Clausthal, Gastprofessor im Saarland sowie in der Zivilgesellschaft beim Club of Rome.

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Aktualisiert am 22.05.2024

OÖWirtschaft: Herr Professor Berg, oft hat man den Eindruck, dass sich die Menschen mehr damit beschäftigen, warum was nicht geht oder gar nicht so gut ist. Beispiel: „Auch die Batterienproduktion für die E-Mobilität verbraucht viel Energie.“ Ist diese „Ja, aber“-Fraktion im Wachsen oder täuscht der Eindruck?

Berg: Ob sie im Wachsen ist, weiß ich nicht, aber diese Fraktion ist zumindest sehr laut. Mich erinnert das an pubertierende Schüler, die eine Ausrede nach der anderen erfinden, warum sie die Aufgaben der Lehrkraft nicht erledigt haben. Aber das sollte all jene, die Lust haben, die Zukunft zu gestalten, nicht irritieren oder aufhalten. 

OÖW: Hausverstand statt Sachverstand! Warum vertrauen selbst Gebildete bei komplexen Themen wie der öko-energetischen Transformation lieber dem Bauchgefühl als wissenschaftlichen Erkenntnissen?

Berg: Zunächst: Ich bin nicht sicher, dass das wirklich so ist. Aber wenn das so sein sollte, wäre die Antwort sicher komplex. Zum einen sind Menschen aus meiner Sicht viel weniger rational, als wir alle oft denken. Sehr viele Entscheidungen werden eher aus dem Bauch heraus getroffen und im Nachhinein rationalisiert. Deshalb gibt es eine beständige Kluft zwischen dem, was wir eigentlich wissen, und dem, was wir dann daraus machen. Sich gesünder ernähren, weniger rauchen, mehr Sport treiben – haben wir alle oft genug gehört und trotzdem fällt das nicht leicht. Gerade wenn das mit negativen Folgen für sie verbunden wäre, leugnen manche Menschen offenbar lieber die Fakten, als sich darauf einzustellen. Das wird dann gezielt von Populisten genutzt, die uns buchstäblich für dumm verkaufen wollen, nach dem Motto, „Weil dir die Konsequenzen nicht passen, glaub lieber mir, wenn ich dir sage, dass die Prämisse nicht stimmt.“ Schließlich: Ich glaube, dass es aus der Wissenschaft heraus mitunter eine ungute Zurückhaltung gibt, sich in aktuelle Diskurse einzubringen. Ein sachlicher öffentlicher Diskurs braucht eine gute Basis wissenschaftlicher Evidenz. Das Feld darf man nicht nur der Presse oder den sozialen Medien überlassen. 

„Wenn Unternehmen verstandenhaben, dass sie wirklich zur Lösung der großen Herausforderungen unserer Zeit beitragen können und das auch wollen, dann ist ehrliche und transparente Kommunikation das beste Mittel.“


OÖW: Was raten Sie einem mittelgroßen Produktionsbetrieb, der sich noch nicht mit Klimawandel oder Energiewende auseinandergesetzt hat? Zuwarten oder handeln?

Berg: Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es einen mittelgroßen Produktionsbetrieb gibt, der sich noch überhaupt nicht mit Energie- oder Klimafragen beschäftigt hat. Falls doch: Besser spät als nie! Es gibt hier so viele Potenziale zu heben, von selbst produzierter erneuerbarer Energie über Wärmerückgewinnung und Abwärmenutzung bis zur Prozessoptimierung und dem Einsparen von Emissionszertifikaten. 

OÖW: Wie würden Sie vorgehen? Groß und alles auf einmal denken oder Step by Step? 

Berg: Es braucht natürlich zuerst eine Strategie, die sich aus dem Kerngeschäft, aus Vision und Mission des Unternehmens, aus der Marke und anderem mehr entwickeln lässt. Natürlich steht über allem die Gesetzeskonformität, die jederzeit gewährleistet sein muss. Hier kommen auf viele Unternehmen in den nächsten Jahren erweiterte Anforderungen zu, mit denen sie sich zeitnah auseinandersetzen sollten (z.B. CSRD). Daneben müssen Unternehmen natürlich auch ihre Wirtschaftlichkeit im Blick haben und hier sind sicher zunächst die möglichen Effizienz- und Einsparpotenziale zu heben. 

OÖW: Sind Nachhaltigkeit und Klimaneutralität Chefsache? Wird Corporate Sustainability zur Schlüsselaufgabe im Management? 

Berg: Aus meiner Sicht gilt für beide Fragen ein klares JA! Corporate Sustainability Management ist das neue Qualitätsmanagement. Man kann das sehr schön an der Entwicklung des ISO-Standards sehen. Zunächst gab es die ISO 9000 (Qualitätsmanagement), später folgte die ISO 14000 (Umweltmanagement), noch einmal später die ISO 26000 für die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Natürlich kann sich die Chefin oder der Chef nicht um alles selbst kümmern. Aber beim Thema Nachhaltigkeit laufen so viele Dinge zusammen: von der Rechtskonformität über die strategische Ausrichtung, das Leistungsangebot, das Personalwesen, die Beschaffung bis zu Kommunikation und Branding. Weshalb das Thema auf jeden Fall nach ganz oben gehört. Die Fischköpfe (= Norddeutsche) sagen: Der Fisch stinkt vom Kopf, das will doch keiner wirklich. 

OÖW: Greenwashing, alternative Fakten, Klimaleugner – jeder hat seine eigene Wahrheit. Was tun gegen die gespaltene Gesellschaft?

Berg: Das sind mehrere komplexe Fragen! Zunächst zum Greenwashing. Wenn Unternehmen verstanden haben, dass sie wirklich zur Lösung der großen Herausforderungen unserer Zeit beitragen können und das auch wollen, dann ist ehrliche und transparente Kommunikation über glaubhafte Schritte in Richtung auf dieses Ziel das beste Mittel gegen Greenwashing. Aber es werden natürlich trotz bester Absichten immer wieder auch Fehler passieren und dann muss man Kritik aushalten können. Was die Klimaleugner und „Alternative-Fakten“-Verbreiter angeht, sollte man diese kleine, aber sehr laute Gruppe von Menschen nicht so wichtig nehmen und ihnen Raum geben. Das gilt insbesondere auch für die Medien, die allzu gerne die Sensationswelle reiten und Quoten machen wollen. Aber es gilt auch für uns alle bei der Nutzung sozialer Medien. Man muss nicht jeden Schwachsinn kommentieren und sich darüber echauffieren. Wir sollten Skandalisierung und Radikalisierung nicht noch durch das Kommentieren von Hass und Hetze weitertreiben