Inklusion
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Inklusion, neue Wege zur Lösung der Arbeitskräftethematik

Die Arbeitskräftefrage beschäftigt die oberösterreichische Wirtschaft nach wie vor.  Die WKOÖ und das NEBA-Betriebsservice gehen mit der „OÖ Job Week“ und dem Format „Schnuppern Inklusiv“ daher gemeinsam neue Wege und das, wie Beispiele aus der Praxis zeigen, mit Erfolg.

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Aktualisiert am 27.09.2024

„Trotz wirtschaftlichem Abschwung 2024 hat sich der Arbeitskräftemarkt nicht wesentlich entspannt. Der Hauptgrund ist die lange prognostizierte demographische Entwicklung, die jetzt eintritt. 100 Pensionierungen stehen lediglich 65 neue Arbeitskräfte gegenüber. Traditionelle Recruiting-Methoden reichen nicht mehr aus, um den Personalbedarf zu decken. Für eine nachhaltige Lösung braucht es einen Paradigmenwechsel im Recruiting. Die WKOÖ und das Betriebsservice setzen sich dafür ein, dass Unternehmen in Oberösterreich die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten“, sagt WKOÖ-Präsidentin Doris Hummer.

Die WKO „OÖ Job Week“ wurde 2023 in Zusammenarbeit mit dem Betriebsservice um „Schnuppern Inklusiv“ erweitert: eigene Veranstaltungen, die speziell an Jugendliche mit Unterstützungsbedarf und Erwachsene mit Behinderung adressiert sind. „Betriebe, die diese Potenzialgruppe nutzen können, sind im Wettbewerb um Arbeitskräfte einen Schritt voraus. Menschen mit Behinderung stellen ein wertvolles und unverzichtbares Potenzial an Arbeitskräften dar“, ist Hummer überzeugt. Rund 15 Prozent der Österreicher haben eine dauerhafte Behinderung und 32 Prozent aller Arbeitssuchenden in Oberösterreich hatten im April 2024 eine gesundheitliche Vermittlungseinschränkung. 

„Erfreulicherweise erkennen immer mehr Betriebe das Potenzial dieser Zielgruppe und die Integration von Beeinträchtigten. Eine Beeinträchtigung ist lediglich ein Merkmal von vielen, die einen Menschen ausmachen. Sie bedeutet nicht automatisch eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit der betroffenen Person. Oft entwickeln Menschen mit Beeinträchtigungen gerade wegen ihren erlebten Behinderungen besondere Fähigkeiten und Talente. Wir wissen aus Erfahrungsberichten von Unternehmen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen sehr positiv zum Betriebsklima beitragen“, so die WKOÖ-Präsidentin. Gehörlose Menschen lassen sich etwa durch Geräusche oder Lärm kaum aus der Ruhe bringen und können daher auch in einem hektischen Umfeld konzentriert arbeiten. Menschen mit Autismus hingegen haben eine besonders strukturierte Arbeitsweise, eine hohe Toleranz für Routinetätigkeiten und exzellentes analytisches Denkvermögen. All dies sind ideale Voraussetzungen für eine Karriere als Programmierer oder Softwaretester.

Bereits vor Ort erste Arbeitserprobungen vereinbart

„Ziel der ,OÖ Job Week‘ ist, potenzielle Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf Basis von Motivation und gegenseitigem Interesse zu vernetzen. Dadurch entsteht die Möglichkeit, Unternehmen direkt vor Ort zu besuchen und deren Tätigkeiten kennenzulernen. In ungezwungener Atmosphäre können Gespräche geführt, Fragen gestellt und Kontakte geknüpft werden. Die Philosophie von ,Schnuppern Inklusiv‘ ist, sich in einem lockeren Rahmen auf Augenhöhe kennenzulernen. So lässt sich am besten herausfinden, ob Personen zum Unternehmen passen sowie Motivation und gegenseitiges Interesse bestehen. Über Arbeitserprobungen kann dann ermittelt werden, welche Aufgaben zu den jeweiligen Fähigkeiten der Bewerber passen. Erst dann erfolgt ein konkretes Stellendesign“, beschreibt Jürgen Kapeller, Obmann der WKO Linz-Land, das Konzept. Das Format „Schnuppern Inklusiv“ fand im Rahmen der diesjährigen „OÖ Job Week“ einen breiten Anklang. Über 130 Jugendliche mit Unterstützungsbedarf und Erwachsene mit Behinderung nutzten 2024 oberösterreichweit die Gelegenheit, in 32 Veranstaltungen einen spannenden Einblick hinter die Kulissen zahlreicher Betriebe zu bekommen, um so die Arbeitsplätze hautnah zu erleben. „In zahlreichen Fällen sind bereits vor Ort erste Arbeitserprobungen vereinbart worden. Diese geben Betrieben und Bewerbern die Sicherheit, dass nachhaltiges Matching entstehen kann, wie zum Beispiel bei Wagner Stahl“, berichtet Kapeller.

Sozialministeriumservice ist Drehscheibe für Inklusion 

Das Sozialministeriumservice Oberösterreich ist die Drehscheibe zum Thema berufliche Inklusion in Oberösterreich. „Wir beauftragen das Betriebsservice und das gesamte Netzwerk Berufliche Assistenz (NEBA) sowie viele weitere Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen“, führt Brigitte Deu, Landesstellenleiterin Sozialministeriumservice Oberösterreich, aus. Für Deu geht es vor allem um eines: „Es sollten die Fähigkeiten von Menschen in den Vordergrund gestellt werden und nicht, was jemand nicht kann. Um die Barrieren in den Köpfen abzubauen und das Mindset zu ändern, braucht es vor allem konkrete Angebote.“  Das Sozialministeriumservice steuert die gesamten Prozesse, ist für die Finanzierung von Maßnahmen zuständig und stellt auch Folgeangebote zur Verfügung, um die Arbeitsplätze langfristig zu sichern. Betriebe können zum Beispiel Lohnförderungen oder Förderungen für die technische Arbeitsplatzgestaltung anfragen.

Beratung von Unternehmen 

Das NEBA-Betriebsservice (Netzwerk Betriebliche Assistenz) ist ein Projekt, das vom Sozialministerium gefördert wird. Als zentrale Anlaufstelle und Informationsdrehscheibe bietet das Betriebsservice ein Rundumservice aus einer Hand, österreichweit und kostenfrei, gefördert vom Sozialministeriumservice. „Wir beraten Unternehmen zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung und profitieren dabei von den Erfahrungen unserer eigenen Mitarbeiter mit Behinderung“, setzt Maximilian Gradl, Betriebskontakter vom NEBA-Betriebsservice Oberösterreich, auf das besondere Wissen seines Teams. „Damit können wir praxisnah und effizient arbeiten, was sich auf die Anzahl und Qualität unserer Beratungen positiv auswirkt“, so Gradl. Entsprechend ist die Belegschaft je zur Hälfte aus Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen zusammengesetzt, die gemeinsam in der Beratung und Projektarbeit, im Back-Office und am Telefon im Einsatz sind. Die Beratungsformate reichen von allgemeinen Erstinformationen über Beantwortung konkreter Fragestellungen bis hin zu maßgeschneiderten Begleitprozessen. Beim Thema „Arbeit und Behinderung“ stellen sich Betriebe oftmals viele mitunter heikle Fragen: Wie ist das mit möglichen Diskriminierungen von Arbeitnehmern, Barrierefreiheit oder Förderungen? Auch hält sich die Mär vom „unkündbaren“ behinderten Mitarbeiter nach wie vor hartnäckig. „Tatsache ist jedoch, die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen bietet zahlreiche Vorteile für Unternehmen und stellt in mehrfacher Hinsicht eine Bereicherung dar“, ist Gradl überzeugt.

„Das Interesse von Betrieben an der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung steigt kontinuierlich. Die Nutzung der Beratungsangebote des Betriebsservice stieg von 750 Unternehmen im Jahr 2020 auf 1100 Unternehmen im Jahr 2023. Sowohl umsatzstarke oberösterreichische Top-30 Unternehmen als auch Kleinst- bis Mittelbetriebe greifen regelmäßig auf die Serviceleistungen des Betriebsservice zurück. Ein Erfolgsfaktor für den Anstieg ist das inklusive Jobdesign. Dabei werden Aufgaben aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen gebündelt. Gemeinsam mit dem Betriebsservice werden aus den Aufgaben neue Stellenprofile entwickelt, die hochqualifizierte Positionen entlasten und niedrigqualifizierten Arbeitssuchenden sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten bieten“, sagt Gradl.

Inklusive Beschäftigungsverhältnisse als Unternehmensbestandteil

Alfred Wagner Stahl-Technik und Zuschnitt GmbH hatte den Fokus im Rahmen der „OÖ Job Week 2023“ auf Lehrstellen und Jugendliche mit Unterstützungsbedarf. Mit Hilfe des Betriebsservice konnten zwei Jugendliche mit Unterstützungsbedarf mit Christine Wagner in Kontakt kommen. „Schnell war klar, dass noch weiterer Bedarf im Betrieb besteht, denn wir setzen auf inklusive Projekte in Oberösterreich. In Zusammenarbeit mit Exit Sozial und Caritas Invita bieten wir im Betrieb schon länger Integrative Beschäftigung an. Dabei können Menschen mit Beeinträchtigung, die bisher arbeitsmarktfern beschäftigt waren, in einem gewissen Ausmaß im Betrieb mitarbeiten. Hier kommt kein Dienstverhältnis zu Stande, sondern die Leistungen werden über die Sozialträger abgerechnet. Damit aber nicht genug. Wir gingen noch einen weiteren Schritt in Richtung inklusiver Beschäftigung. Durch die Unterstützung vom Betriebsservice, das sich auf die berufliche Integration von Menschen mit Behinderung spezialisiert hat, konnte eine Stelle für ,Unterstützende Hausmeistertätigkeiten‘ geschaffen werden. Dabei wurden verschiedene Hilfstätigkeiten zu einer Stelle zusammengefasst. Ein Bewerber mit körperlicher und psychischer Behinderung begann 2023 geringfügig und ist nun in einem vollversicherten Dienstverhältnis im Umfang von 20 Wochenstunden, das im Juni startete. Für ihn stellte das eine Möglichkeit dar, sich nach längerer Arbeitslosigkeit langsam wieder in die Vollbeschäftigung zurückzuarbeiten“, beschreibt Christine Wagner, Geschäftsführerin von Alfred-Wagner Stahl-Technik und Zuschnitt GmbH in Pasching.

Maria Pichlbauer, HR-Leiterin bei der Pflaum und Söhne GmbH in Traun, wurde von der Wirtschaftskammer auf die Beratungsangebote des Betriebsservice aufmerksam gemacht. „Die WKO hatte zuvor in einer Aussendung auf die Zielgruppe der Jugendlichen mit Unterstützungsbedarf hingewiesen. Im ersten Beratungsgespräch wurde bereits ersichtlich, dass dringend eine Person für die Datenverarbeitung gesucht wird, jedoch nur für wenige Stunden. Die Stelle konnte zügig durch einen Betriebsservice Netzwerkpartner ,Work_AUT‘ besetzt werden“, beschreibt Daniel Höller, CEO von Pflaum & Söhne Bausysteme GmbH. „Work_AUT“ berät Menschen im Autismus-Spektrum zum Thema Beruf/Lehrstelle und machte die Position einem geeigneten Bewerber zugänglich. „Die Abklärung, ob Betrieb und Bewerber zusammenpassen, erfolgte im Rahmen der ,OÖ Job Week 2023‘. Hier konnte ein für beide Seiten unverbindliches Treffen stattfinden und darauffolgend eine Arbeitserprobung organisiert werden“, sagt Höller.

Maria Pichlbauer, selbst im Autismus-Spektrum, engagierte sich für die Schaffung einer Vollzeitposition an Stelle einer geringfügigen Beschäftigung. „Ein wichtiger, vorausschauender Schritt, da auch für Menschen mit Behinderung ein ausreichendes Einkommen notwendig ist. Manche Matches können bedauerlicherweise nicht realisiert werden, weil die Bewerber mit angebotenen geringfügigen Stellen oder Teilzeitstellen ihren Lebensunterhalt nicht finanzieren können. Bei der ,OÖ Job Week 2024‘ war das Interesse an unserem Betrieb gestiegen. Über 20 Jugendliche aus unterschiedlichen Projekten sahen sich den Betrieb vor Ort an“, so Höller. Ein besonderer Erfolgsmoment: Bei der „OÖ Job Week 2024“ sprachen ein Lehrling mit Legasthenie und der Mitarbeiter im Autismus-Spektrum frei vor den Besuchern und berichteten von ihren Arbeitserfahrungen und dem inklusiven Arbeitsumfeld. Entwicklung der Mitarbeiter gelingt, wenn sie sich im Betrieb wohl fühlen. Pflaum und Söhne GmbH hat diesen Prozess aktiv gestaltet.

Im Bild v.l.: Jürgen Kapeller, Obmann der WKO Linz-Land, Maria Pichlbauer, HR-Leiterin Pflaum und Söhne Bausysteme, Daniel Höller CEO Pflaum & Söhne Bausysteme, WKOÖ-Präsidentin Doris Hummer, Christine Wagner, Geschäftsführerin Alfred Wagner Stahl-Technik und Zuschnitt, Brigitte Deu, Landesstellenleiterin Sozialministeriumservice Oberösterreich, und Maximilian Gradl, Betriebskontakter vom NEBA-Betriebsservice Oberösterreich.
© cityfoto/Pelzl Im Bild v.l.: Jürgen Kapeller, Obmann der WKO Linz-Land, Maria Pichlbauer, HR-Leiterin Pflaum und Söhne Bausysteme, Daniel Höller CEO Pflaum & Söhne Bausysteme, WKOÖ-Präsidentin Doris Hummer, Christine Wagner, Geschäftsführerin Alfred Wagner Stahl-Technik und Zuschnitt, Brigitte Deu, Landesstellenleiterin Sozialministeriumservice Oberösterreich, und Maximilian Gradl, Betriebskontakter vom NEBA-Betriebsservice Oberösterreich.