Sparte Industrie

EU-Binnenmarkt, Energiemarkt und Physik

Informationen der Bundessparte Industrie

Lesedauer: 3 Minuten

27.01.2025

Die EU-Mitgliedstaaten betonen ihre Souveränität bei der Wahl der Energieträger und testen damit Grenzen der Belastbarkeit von EU-Binnenmarkt und Physik.

In einem wahren Krimi hat der deutsche Gesetzgeber in letzter Sekunde doch die deutsche Gasspeicherumlage abgeschafft, um deren Einhebung bei Gasexporten aus Deutschland nach dem 31. Dezember 2024 gerade noch zu verhindern. Diese Entscheidung ist der deutschen Politik nicht leichtgefallen und war wohl nur deshalb möglich, weil die deutsche Ampelkoalition zerbrochen und damit der Widerstand einer deutschen Regierungspartei gegen die Aufhebung der Gasspeicherumlage politisch irrelevant geworden war. Eine Armada von Regulatoren, Behörden, Industrie- und Verbrauchervertretungen aus mehreren EU-Mitgliedstaaten und die EU-Kommission forderte die Aufhebung der europarechtswidrigen Umlage vehement. Angesichts des fast vollständigen Lieferstopps von russischem Pipelinegas über die Ukraine ist die Abschaffung der Gasspeicherumlage ein sehr wertvoller Baustein, um die Versorgung zu sichern und – vor allem - die Energiepreise etwas zu entspannen. Neben der Aufrechterhaltung und Wiederaufnahme sämtlicher Gaslieferrouten ist es auch notwendig, die Lieferkosten nach Österreich gering zu halten. Die deutsche Gasspeicherumlage wäre ab 1. Jänner 2025 auf 2,99 EUR/MWh gestiegen.

Was bleibt ist der Wermutstropfen, dass es in der EU möglich war, eine offensichtlich dem EU-Binnenmarktrecht widersprechende Regelung erst nach Jahren und aufgrund eines Regierungswechsels in einem EU-Mitgliedsstaat loszuwerden, obwohl der EU-Mitgliedstaat die Rechtswidrigkeit ab Ende Juni 2022 sogar offen zugestanden hat.

Dass der Gas-Großhandelspreis mit seinem aktuellen Niveau von ca 50 EUR/MWh zu hoch ist, zeigt der Vergleich mit dem US-amerikanischen Niveau von im Dezember 2024 mit ca 11 EUR/MWh. Damit ist der Gaspreis in Österreich (und der EU) um ca das 4,5 fache höher als in den USA. Das wurde im „Draghi-Bericht“ schon nachgewiesen. Die EU-Kommission hat für Februar 2025 ein „Paket für leistbare Energie“ angekündigt. Die Bundessparte Industrie wird darüber berichten und weiterhin dafür arbeiten, dass das Gasangebot wieder steigen kann.

Im deutschen Strom-Großhandelsmarkt wurden im Herbst 2024 Spitzenpreise von mehr als 800 EUR/MWh in einigen Stunden bezahlt, auch in Österreich hat der an sich schon sehr hohe Strompreis von ca 100-120 EUR/MWh seit November 2024 oftmals nach oben ausgeschlagen. Diese Spitzenpreise waren Folgen von „Dunkelflauten“ – also dem weitgehenden Ausfall von Wind- und Sonnenstromproduktion bei niedriger Wasserführung. Die schwedische Energieministerin, deren Land auf Druck der EU-Kommission in mehrere Strompreiszonen unterteilt ist - wobei die südschwedische Preiszone durch Leitungen mit Deutschland ebenfalls Preisspitzen erleben musste - hat daraufhin von hohen Preisen als Folge einer verfehlten deutschen Energiepolitik gesprochen und konkret die Auftrennung des deutschen Marktes in mehrere Strompreiszonen gefordert. Dass sich aufgrund politischer Entscheidungen in Deutschland die Produktion von Atom- und Kohlestrom verringert hat ist offensichtlich, auch dass Deutschland im Süden zu wenig Kraftwerkskapazitäten und zu wenige Nord/Süd Netzverbindungen hat.

Anfang Jänner 2025 kündigte sich vor diesem Hintergrund eine mögliche Änderung auf dem Strom-Großhandelsmärkten an. In der europäischen Regulierungsbehörde ACER stehen Überlegungen an, in welche Strompreiszonen die EU bzw. deren Mitgliedstaaten künftig aufgeteilt werden soll. Derzeit ist das Gebiet von Deutschland eine einheitliche Preiszone von Nord- und Ostsee bis nach Bayern. Die Preise in der deutschen Preiszone sind den österreichischen ähnlich, was der relativ hohen Kapazität der Stromleitungen zwischen Österreich und Deutschland geschuldet ist.

Was ist der Grund der Überlegungen zur Änderung der Strompreiszonen? Aufgrund der mangelnden Netzkapazitäten zwischen Nord- und Süddeutschland spricht energiewirtschaftlich vieles dafür, dass im Norden Deutschlands - mit der hohen Windkraftkapazität an Nord- und Ostsee - häufiger relativ niedrigere Strompreise gelten sollten als in Süddeutschland mit seinen großen Verbrauchszentren. Derzeit kommt es aufgrund des politisch-regulatorisch vorgegebenen, gleichen Preises sogar dazu, dass flexible Stromverbraucher im Süden Deutschlands dazu anregt werden, Strom zu verbrauchen, etwa um Wasser in Speicherseen zu pumpen, obwohl die Strommengen mangels Netzen physisch gar nicht von den Windkraftwerken im Norden an die Verbraucher im Süden geliefert werden können. Um die Stromentnahme im Süden aber physikalisch abdecken zu können, werden im Süden Kohle- und Gaskraftwerke hochgefahren. Die Stromerzeugung im Norden muss hingegen manchmal sogar gedrosselt werden, also die Windkraftwerke vom Netz genommen werden. Der Abruf von Kohle- und Gaskraftwerken wird ebenso entschädigt, wie Produktionsdrosselung der Windkraft.

Will die Politik ihre Länder nicht in Preiszonen aufspalten lassen, so muss die Physik näher an die politisch-regulatorisch definierten Preiszonen herangeführt werden, indem die Netze ausgebaut werden und die Erzeugungsanlagen dorthin gebaut werden, wo auch die Verbraucher sitzen. Gerade die süddeutschen Bundesländer lehnen aber - ebenso wie leider einige österreichische Bundesländer - die großvolumige Ökostromerzeugung insbesondere aus Windkraft ab. Damit nehmen sich diese Bundesländer die Handlungsoptionen, um die physikalischen Gegebenheiten der Stromversorgung kostengünstig für die Stromkunden in ihren Bundesländern zu nutzen.

Der Trump-Administration wird die Unterstützung der fossilen Energiewirtschaft zugeschrieben: „drill baby drill“. Wenn Regionen / Bundesländer nicht in die passive Rolle gedrängt werden wollen, Energie teuer zu kaufen, dann bleibt für die erneuerbaren Energien ebenso keine andere Wahl als Kraftwerke zu errichten: „build baby build.“

Autor:

Ing. Mag. Wolfgang Brenner
E-Mail: wolfgang.brenner@wko.at

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